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Die meisten mathematischen Probleme lassen sich nicht mal so eben auf den Knien im Bus oder der S-Bahn lösen, es sei denn, die Lösung bietet sich förmlich an oder man schreibt blindlings ab. Zahlreiche Beispiele bezeugen, dass man weit, mitunter sogar sehr weit ausholen muss, um der Lösung ein Stück näher zu kommen. Meistens weiß man nicht einmal im Vorhinein, ob die eingeschlagene Richtung letztendlich zum erhofften Erfolg führt. Genau darin legt die spezifische Leistung vieler berühmter Mathematikerinnen und Mathematiker: sie ahnten, wohin das Wasser fließt, sei es, dass ihnen ihre reiche Erfahrung dazu verhalf, sei es, dass sie völlig neue Theorien entwickeln mussten, um der Sache Herr zu werden.
Ein gutes Beispiel dafür liefert der geschäftsführende Vorstand des Instituts für Experimentelle Mathematik (IEM) an der Universität Duisburg-Essen, Prof. Dr. Gerhard Frei. Mit seiner Richtung weisenden Abhandlung wies er im Jahre 1985 den Weg, an dessen Ende der Brite Prof. Andrew Wiles (University of Cambrige) das Problem Fermats Letzter Satz zu lösen vermochte. Frei trat den zunächst bescheiden wirkenden Anfang einer letztlich erfolgreichen Entwicklung los, die die Mathematik in dramatischer Weise befruchten und nachhaltig verändern sollte. Zwar vermochte Frei nicht, FERMATS Letzten Satz zu beweisen, jedoch gilt es als sicher, dass ohne Freis Idee (Formulierung einer äquivalenten Aussage über eine Situation in der Theorie der elliptischen Kurven) dieses Kapitel wohl heute noch nicht beendet sein dürfte.
Fred Dodd, Mathematiker der University of Alabama, hat sich in seiner Dissertation number theory in the quadratic field with golden section unit mit den zahlentheoretischen Eigenschaften der PROPORTIO DIVINA auseinander gesetzt.
Was meint das?
Durch den Goldenen Schnitt wird eine beliebige Strecke c derart in zwei Teile a und b geteilt (a sei die größere der beiden Strecken a und b), dass sich die Teilstrecken in ihrer Größe zueinander verhalten wie die Gesamtstrecke c zu a:
Der Goldene Schnitt ist maßgeblich durch eine irrationale Zahl bestimmt. Diese irrationale Zahl ist die Lösung einer zunächst harmlos erscheinenden quadratischen Gleichung. Diese irrationale Lösung kann man in kanonischer Weise dazu benutzen, die Menge Q der rationalen Zahlen (also der allseits bekannten Brüche) so geschickt zu erweitern, dass alle Gesetze in der Menge Q auch in dieser erweiterten Menge gelten. Hinzu kommen natürlich weitere Eigenschaften, die uns diese Erweiterung beschert. In dieser "neuen" Menge gibt es ebenso "ganze Zahlen", die sich ähnlich den uns bekannten ganzen Zahlen verhalten, d.h. es gibt ebenso eine Zahlentheorie für diese neuen ganzen Zahlen. Unter ihnen finden sich auch Primzahlen, es gibt eine Faktorisierung, einen ggT, einen Euklidischen Algorithmus, ... etc.
Was unseren Workshop betrifft, so liegt die Essenz der Behandlung dieser Theorie darin, dass genau diese Erweiterung des Zahlbereiches Q uns ermöglicht, zahlreiche relativ einfach erscheinende Probleme, Sätze oder Vermutungen (für die ganzen Zahlen heißt diese Problemklasse Diophantische Probleme) elegant beweisen zu können. Genau dies hatte sich Fred Dodd vorgenommen. Dodds ganze Theorie hängt also von einer einzigen Zahl ab, dem Goldenen Schnitt.
Die Ergebnisse seiner Untersuchungen ermöglichten es Professor Dodd, einige Sätze, die sich elementar gar nicht oder nur mit sehr viel Aufwand beweisen ließen, auf elegante Art und Weise abzuleiten. Dazu gehören FERMATS LETZTER SATZ für den Exponenten 5 und der Lucas-Lehmer-Test für MERSENNEsche Primzahlen sowie einige harmlos erscheinende Sätze über die FIBONACCI-Zahlen. Diese und zahlreiche weitere Themen haben auf den ersten Blick mal gar nichts mit dem Goldenen Schnitt zu tun. Erst wesentlich später macht sich jedoch die Erkenntnis breit, zu welchen Bereichen es Verbindungen gibt, die etliche Probleme in zufrieden stellender weise lösen lassen.
Fred Dodds Untersuchungen weisen der Gruppe den Weg, auf den sich die Jungmathematikerinnen begeben.
Der Workshop versteht sich als Grundlagenseminar für junge Menschen, die sich in einem der anerkannt schönsten und derzeit wohl aktuellsten Gebiete der Mathematik, der algebraischen Zahlentheorie, orientieren wollen.
Die enge thematische Verbindung beider Workshops in den Osterferien ermöglicht während der Workshops einen fruchtbaren Austausch zwischen beiden Arbeitsgruppen.
Als Ausblick dieses Workshops werfen wir einen Blick auf die Möglichkeit, die Zahlenmenge Q auch durch andere Wurzeln, als den Goldenen Schnitt, zu erweitern. Dabei begegnen wir der Lieblingsmenge des Carl Friedrich Gauß, dem Ring der Gauß'schen Zahlen Z[i], wobei jetzt das Symbol i für die Lösung der Gleichung x2+1=0 steht.
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